Bildcollage, u. a. unter Verwendung einer Karte der Stadt Detmold (Stadtarchiv Detmold) / Collage: Marcus WeidnerStartseite des Internet-Portals Startseite des NS-StraßennamenprojektsProjekt - Informationen zum Projekthintergrund und zur IntentionDatenerhebung - Welche Benennungen sind in der Datenbank enthalten - und welche nicht?
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Das Projekt


Während des Nationalsozialismus wurden in fast allen Städten und den meisten Gemeinden die Namen von Straßen, Plätzen und Wegen geändert, obgleich es hierzu eigentlich keine polizeiliche oder bauliche Notwendigkeit gegeben hatte. Vorrangiges Ziel dieser Um- bzw. Neubenennungen war es, den "neuen Staat" auch im Straßenraum sichtbar und die Bevölkerung mit den Vorbildern und Erinnerungsorten der neuen Machthaber vertraut zu machen. Zugleich aber sollten all jene Namen beseitigt werden, die dieser "nationalen Revolution" gleichsam im Wege standen: zunächst v. a. die Namen demokratischer Repräsentanten der Weimarer Republik und linker Parteivertreter, dann kirchliche und jüdische Namen. Straßenschilder hatten in dieser Zeit insofern nicht nur eine topografisch-räumliche Orientierungsfunktion, sondern v. a. eine politische: die Ehrung bzw. das Wachhalten der Erinnerung, vorrangig an Personen, aber auch an Ereignisse oder Orte.

Da die NS-Ideologie innerhalb eines abgesteckten Raums einen erheblichen Variantenreichtum mit unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten aufwies, bot sich eine Vielzahl möglicher Namen, Orte und Begriffe für die neuen Straßenschilder an. Aus dieser letztlich unklaren Verfügungsmasse bedienten sich die verschiedenen Instanzen entsprechend ihrer hierarchischen, räumlichen und thematischen Interessen auf dem jeweiligen zeitlichen Hintergrund des Benennungsakts. Dies war ein wesentlicher Grund dafür, dass die lokalen Straßennamenkorpora, von den ,Basisnamen' einmal abgesehen, in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht derart verschiedenartig ausgebildet sind. Drei Bereiche waren hier besonders stark vertreten: nationalsozialistische (z. B. Hitler, Göring, Wessel), militärische (z. B. Schlachtenorte, Generäle des Ersten Weltkriegs) und territoriale (z. B. Gebietsverluste infolge des Versailler Vertrags). Sie verweisen auf die Entstehungsursachen und das zukünftige politische 'Konzept' des NS-Staats. Das massenhafte Vorkommen und die scheinbare Gleichförmigkeit von NS-Straßennamen lassen auf den ersten Blick vermuten, dass sich eine Benennungspolitik auf Verfahrenswegen abspielte, die parallel zum sog. 'Führerstaat' von oben nach unten liefen. Tatsächlich aber handelte es sich um eine Bezeichnungspraxis, deren grundlegende Regeln zwar schrittweise entsprechend der Politik des neuen Machtstaats ausgerichtet wurden, die letztlich aber v. a. von unten, den örtlichen Instanzen, mit Inhalten ausgefüllt wurde.

So rücksichtslos, ja so brutal das Handeln von Funktionsträgern in der NS-Zeit auch war – in der Gesamtsicht war die nationalsozialistische Benennungspraxis keine ausschließliche Straßenschilderstürmerei, kein rigoroser Gegenkanon. Viele der zwischen 1933 und 1945 vergebenen Namen hatten keinen NS-Bezug, und mitunter führten die Bürgermeister bzw. die NSDAP jene Namenstraditionen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik fort, soweit diese Schnittmengen mit ihrer ideologischen Ausrichtung aufwiesen oder ein Integrationsangebot für spezifische Gruppen darstellten. Zudem wurde bis zu einem gewissen Grad Rücksicht auf historisch gewachsene Namen mit einer besonderen Bedeutung innerhalb der alten Stadtkerne genommen und Umbenennungen v. a. in städtebaulich gesehen relativ jungen Vierteln durchgeführt (z. B. Bahnhofsviertel mit viel Publikumsverkehr). Von zentraler Bedeutung jedoch war, dass die Lage und Größe der Stadt der Bedeutung der Person entsprach, um die Ehrung nicht in ihr Gegenteil zu verkehren.

Die Zeit nach 1945 war durch zwei Phasen gekennzeichnet. In der ersten, der Eroberungsphase, befahlen die Alliierten die Beseitigung der Benennungen, wobei letztlich aber nicht gänzlich klar war, sieht man einmal von den eindeutigen NS-Namen ab, welche nun genau zu ändern waren. Manche der eingesetzten Bürgermeister nutzten die Gelegenheit und setzten ambitionierte Benennungen bzw. großflächige Umbenennungen auch der Schlachten- und Feldherren-Namen aus dem Kaiserreich durch, um den Stadtraum gleichsam zu entmilitarisieren. In der zweiten Phase, der Konsolidierungsphase (1946-1949), waren es dann die gewählten Kommunalvertretungen, die ihre Vorstellungen entsprechend der Parteilinien und der politisch-sozialen Profile der Bürgerschaft umsetzten. Kennzeichen war die Entpolitisierung der Straßennamen, was jedoch zu Lasten der Ehrung der NS-Opfer ging, sowie die beginnende Stilisierung der eigenen Opferrolle, gepaart mit einem z. T. starken Beharrungsvermögen, sodass nicht immer alle angeordneten Umbenennungen (z. B. im Falle Hindenburgs) auch ausgeführt wurden. So sind heute etwa rund ein Drittel der erinnerungskulturellen Benennungsakte aus der NS-Zeit noch gültig, die – je nach Stadtgesellschaft – aktuell, bei veränderten Blickwinkeln und fortschreitender Erkenntnis, ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial in sich bergen (z. B. Hindenburg, "Kolonialpioniere", Schriftsteller oder Ärzte).



! Die NS-Straßennamen-Datenbank führt unzählige Quellen, Auskünfte, Texte und Rechercheergebnisse zusammen – sie ist aber nicht abgeschlossen. Hinweise und Korrekturen bitte an: Dr. Marcus Weidner (marcus.weidner@lwl.org)



Bekanntmachung von Straßenumbenennungen, Schwelmer Zeitung, 16.04.1933
Bekanntmachung von Straßenum- benennungen, Schwelmer Zeitung, 16.04.1933



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Illustration der Siegener Zeitung anlässlich der Auswechslung von Straßenschildern in Siegen 1933



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Straßenschild "Adolf Hitler Platz", 1933 am Marktplatz von Olpe angebracht



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"Straße der SA" (Bahnhofstraße) in Waltrop, geschmückt anlässlich des NS-Kreistreffens 1938
 
 
Angesichts der enormen Forschungsleistungen der letzten Jahrzehnte und des zunehmenden Interesses an regionalgeschichtlichen Ansätzen erstaunt es, dass die Benennung des öffentlichen Symbolträgers "Straßenname" in der NS-Zeit bislang allenfalls in einigen lokalen, qualitativ z.T. recht verschiedenartigen Studien Beachtung gefunden hat, nicht aber in regionalen, die doch eine vergleichende Perspektive erlauben. So lag es nahe, anlässlich der wissenschaftlichen Tagung "Straßennamen als Instrument der Geschichtspolitik und Erinnerungskultur", die das LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte zusammen mit Partnern im Juli 2011 in Münster veranstaltet hatte, die Straßenbenennungspraxis im Nationalsozialismus für Westfalen und Lippe einmal genauer zu untersuchen.

Infolge der Vielgestaltigkeit kommunaler Politik und der Absicht, eine umfassende Online-Dokumentation zu erstellen, wurden deshalb in den Jahren 2011-2013 alle Kommunen und Archive dieser Region mittels eines Fragebogens angeschrieben und um Auskünfte über Archivalien, Quellen und Benennungsakte zu diesem Thema gebeten. Erst durch diesen breiten Ansatz war es möglich, die vielfältigen räumlichen Dimensionen wie Erscheinungsformen sichtbar zu machen und die Ergebnisse ggf. durch Tiefenbohrungen vor Ort, z. B. wenn vielversprechendes Schriftgut in Verwaltung oder Archiv vorhanden war, zu erweitern. Letztlich erfordert die eingehende synchrone und diachrone Analyse der Vergabe und Ausprägung von Straßennamen innerhalb einer Region aber immer auch einen quantitativen Zugriff. Hierdurch können z. B. kategoriale, räumliche oder zeitliche Besonderheiten oder eine wie auch immer geartete Kommunal- bzw. Regionalpolitik in den sehr unterschiedlich verfassten Kommunen und Gauen (Westfalen-Nord und -Süd) im Namenskorpus besser dargestellt werden. In zwei Aufsätzen, die der Tagungsband "Fragwürdige Ehrungen!?" u. a. enthält, werden Ergebnisse des Projekts vorgestellt.

Obgleich es für den größten, d.h. damals preußischen Teil dieses heutigen Gebiets einheitliche Regelungen gab, erwiesen sich die Resultate – Antworten und Materialien – als sehr heterogen. Manche Kommune hat heute keinerlei Vorstellungen mehr von "ihren" früheren Straßennamen, Informationen hierüber waren verschollen oder vernichtet, Pläne selten vorhanden, Schriftgut oft noch bei den Verwaltungen. Mitunter schien es nicht einmal mehr ersichtlich, ob es überhaupt offizielle Benennungen vor rund 80 Jahren gegeben hat. Auch die kommunale Aktenführung dieser Zeit und die heutige Aufbewahrung waren und sind alles andere als einheitlich. Das Spektrum reicht hier von Splittern in Protokollbüchern bis hin zu umfassenden Spezialakten etwa zur "Geschichte" einzelner Straßen, von zufälligen Erwähnungen in Zeitungen bis hin zu mustergültig geführten Akten, die alle Stufen des Verwaltungsverfahrens - von der Initiative, über die Beschlussfassung bis zur Anbringung der neuen Schilder - abbilden. Kriegsverluste und (gezielte) Kassationen in der Kriegsendphase bzw. in der Nachkriegszeit taten ein übriges. In der Regel sind zumeist nur Informationen über einzelne Aspekte eines Benennungsverfahrens überliefert, selten die Beweggründe und damit die Bedeutung z. B. einer konkret zu ehrenden Person für die Akteure.

Ziel des NS-Straßennamenprojekts war es, erinnerungskulturell relevante Straßenumbenennungen während des Nationalsozialismus und den Umgang mit diesen Benennungen in der Nachkriegszeit für das heutige Gebiet Westfalen-Lippe zu untersuchen, in einer Datenbank zu dokumentieren und online darzustellen. Insofern repräsentieren die Ergebnisse nicht alle während der Jahre 1933-1945 vorhandenen Straßennamen, d.h. bilden in ihrer Gesamtheit keine vollständige Zeitschicht ab. Im Einzelfall erschwert dies die Untersuchung von Bezeichnungen, die schon vor 1933 vorkamen (z. B. Hindenburg, nicht aber Hitler). Dies wäre ohnehin nicht leistbar gewesen, weder hinsichtlich der verfügbaren Ressourcen, noch der vorhandenen Informationen, noch wäre dieses Einfrieren zu einem bestimmten Stichtag der Dynamik der Benennungspraxis dieser Zeit (z. B. wiederholte Umbenennungen, sich wandelnde Intention) gerecht geworden. Auch handelt es sich nicht um eine Komplettaufnahme aller Benennungen innerhalb dieses Zeitraums, denn das Erkenntnisinteresse war auf erinnerungskulturelle Fragestellungen ausgerichtet und sollte nicht durch – im weitesten Sinne – unpolitische Namen verstellt werden.
Buchcover der Tagungsdokumentation 'Matthias Frese (Hg.), Fragwürdige Ehrungen!?, Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, Münster 2012'
Bestellzettel: Fragwürdige Ehrungen!?, Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur
Der Tagungsband enthält zwei Aufsätze zur Benennungspraxis während des Nationalsozialismus und der unmittelbaren Nachkriegszeit.


Aufruf der Lippstädter NSDAP zum Besuch einer Kundgebung 'zur Ehrung des Volkskanzlers Hitler anlässlich seines 44. Geburtstages am 20. April 1933' mit vorausgehender (19.04.1933) Umbenennung der Lange Straße in Adolf-Hitler-Straße
Aufruf der Lippstädter NSDAP zum Besuch einer Kundgebung "zur Ehrung des Volkskanzlers Hitler anlässlich seines 44. Geburtstages am 20. April 1933" mit vorausgehender (19.04.1933) Umbenennung der Lange Straße in Adolf-Hitler-Straße



Werbeprospekt der Emailleschilderfabrik Jakob Leineweber, Sondernheim, mit den drei am häufigsten nachgefragten Straßenschildertypen
Werbeprospekt der Emailleschilderfabrik Jakob Leineweber, Sondernheim, mit den drei am häufigsten nachgefragten Straßenschildertypen